Von der digitalen Strategie zur Kundenlösung
Jens Brajer ist Vice President Learning and Digital Infrastructure Corporate Human Resources bei Carl Zeiss und damit unter anderem verantwortlich für die Schaffung der weltweiten Infrastruktur für ein „digitales Lernen“ im Hause Carl Zeiss und zwar für Mitarbeiter wie für Kunden. Im Interview mit Michael René Weber, ISS International Business School, wird deutlich, warum Carl Zeiss auf eine digitale Infrastruktur fokussiert, die die Idee eines „lebenslangen Lernens“ in der Praxis realisiert.
Michael René Weber: Carl Zeiss ist als innovatives Hightech-Unternehmen weltweit bekannt. Herr Brajer, welche Rolle spielt Digitalisierung bei Zeiss?
Jens Brajer: Die Digitalisierung ist schon seit geraumer Zeit ein Thema bei Zeiss, nicht zuletzt, weil es eine Forderung unserer Kunden ist. Unsere Systeme sollen mit bestehenden Infrastrukturen zu vernetzt oder Nutzerdaten sollen schneller und einfacher verfügbar sein. Die Frage ist, welchen Beitrag wir mit Digitalisierung dazu leisten, Abläufe schneller und produktiver zu machen, auf Seiten des Kunden wie auch bei uns im Unternehmen, bei Carl Zeiss. Deshalb spielt Digitalisierung bei uns oft bereits im Produktdesign eine Rolle. Aber auch in anderen, sogenannte Querschnittsbereichenwie Marketing, HR, Logistik sind bereits digitale Projekte realisiert und selbstverständlich immer noch auf der Agenda.
Michael René Weber: Da haben Sie viele Punkte gleichzeitig angepackt. Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Jens Brajer: In den Anfangstagen der Digitalisierung hatten wir ein sogenanntes „Digital Council“, das sich mit den Schwerpunkten der Digitalisierung bei Carl Zeiss befasst hat. Meine Rolle war dort „das Thema Lernen“. Andere Themen waren „die digitale Fabrik“ oder „agile IT“. Mittlerweile haben wir in allen Bereichen diese ersten Ideen und Schritte in einen operativen Dauerbetrieb überführt. Damit werden Digitalisierungsprojekte oder Projekte, welche die Digitalisierung von Abläufen oder Services und Produkten zum Gegenstand haben, zum Standard und Normalfall. Einen Punkt möchte ich gern noch herausstellen. Es geht nicht nur um technische Digitalisierung, sondern auch um die Frage, wie die Mitarbeiter damit umgehen. Das kommt in der Diskussion um „Digitalisierung“ oft zu kurz. Es hilft ja nichts, Abläufe zu digitalisieren und schneller, transparenter zu gestalten, wenn die Mitarbeiter nicht gleichzeitig die Möglichkeit erhalten, mit diesen neuen Abläufen zu wachsen, sie in diesen Themen mitzunehmen und zu qualifizieren.
Michael René Weber: Damit sind wir mitten im Thema „Lernen und Digitalisierung“ angekommen, Kernaufgabe von HR, oder?
Jens Brajer: Ja, ich würde es aber bewusst weiter fassen als HR, es geht um die Frage, wie man mit neuen Produkten und Services, neuen Abläufen produktiver wird. Bei der Entwicklung im eigenen Unternehmen und unter Berücksichtigung der Einbindung der Mitarbeiter ist das eine „HR-Thematik“. Es hat aber auch eine Kundenperspektive, die in den meisten Unternehmen kein HR-Thema ist. Es macht aber Sinn, beim Thema „Lernen“ und der Unterstützung einer lernenden Organisation sowohl den internen wie den externen Blickwinkel zu haben. Die Infrastruktur für eine lernende Organisation ist in beiden Bereichen identisch. Dies gilt auch für die Ermittlung der Kundenanforderungen, die sowohl intern als auch extern existieren und aufzunehmen sind.
Michael René Weber: Das heißt, Sie fokussieren zwei Funktionen, einmal die interne, Weiterbildung der Mitarbeiter, und einmal die externe, die Kundenqualifikation, zum Beispiel im Einsatz Ihrer Geräte?
Jens Brajer: Ja, die Digitalisierung unterstützt beide Lernprozesse, macht sie produktiver und wirkungsvoller. Die These vom lebenslangen Lernen ist nicht ja neu, bekommt nun aber eine völlig neue Dynamik. Während beim traditionellen Lernen, früher, Wissen vermittelt und aufgenommen wurde, um es dann später in der Praxis anzuwenden, bieten aktuelle Informationssysteme, interne „Wikis“ oder Ressourcenplattformen Informationen, die aktuell helfen. Neben dem formalen Seminar- oder Trainingselement, das es auch in Zukunft geben wird, stehen zunehmend informelle Elemente und das Gespräch mit den Kollegen. Es ist eine konsequente Weiterführung dessen, was wir mal als lebenslanges Lernen bezeichnet haben. Dabei ist es unsere Aufgabe, das Lernen in allen Bereichen des Unternehmens in dieser Form zu ermöglichen, im Management, an der Werkbank und in Fachbereichen.
Michael René Weber: Damit macht Carl Zeiss Wissen verfügbar, zu dem Zeitpunkt, wo es erforderlich ist und reduziert ein „Lernen auf Vorrat“, oder?
Jens Brajer: Das trifft es exakt und natürlich werden auch Grundausbildungen künftig noch eine Rolle spielen. Diese Form des Lernens, E-Learning oder Blended Learning, wird auch verstärkt genutzt. Im letzten Jahr haben wir die Lernaktivitäten auf einer gemeinsamen Plattform gebündelt und befinden uns aktuell mitten im weltweiten Roll Out dieser Plattform. Das Ergebnis ist beeindruckend. Bereits in den ersten drei Monaten hatten wir knapp 350.000 Zugriffe auf diese Plattform, das ist eine erhebliche Steigerung zum Vorjahr. Die 25.000 Mitarbeiter haben in den letzten 3 Monaten über 7.000 Kurse absolviert. Das zeigt, dass es einen Bedarf gibt und deutliches Interesse.
Michael René Weber: Da haben Sie intern schon viel erreicht…
Jens Brajer: …wir sind ja auch schon lange auf dem Weg des Lernens unterwegs, und jetzt dabei, Lernen auch als digitales Produkt zu begreifen. Für unsere Geschäftsbereiche, die inhaltlich verantwortlich sind, sind wir als „Lerninfrastruktur-Provider“ tätig. Das heißt, wir stellen die Lerninfrastruktur für die Kundentrainings unserer Geschäftsbereiche zur Verfügung. Wir haben zum Beispiel bei einer bestimmten Produktart das sogenannte Onboarding für Field Service Engineers, also Leute, die auch direkt beim Kunden auch Geräte reparieren, komplett umgebaut, haben die Präsenzzeit um knapp 3 Wochen verkürzt. Das Blended Learning Programm aus E-Learning Modulen und Präsenzzeit, hat die frühere Präsenzzeit um knapp 3 Wochen verkürzt und somit einen signifikanten Geldbetrag eingespart. Das Investment in dieses Onboarding-Konzept rechnet sich bereits im ersten Jahr.
Michael René Weber: Herr Brajer, Augmented Reality ist im Field Service ein Zukunftsthema. Wie weit sind Sie dabei?
Jens Brajer: Augmented Reality ist zunächst ein Verfahren, mit dem wir versuchen, Nutzer unserer Geräte schneller produktiv werden zu lassen. Das Bild aus der Realität wird um Sollvorgaben oder Vorgehensweisen angereichert und hilft dem Techniker zum Beispiel so, ein Bauteil schneller einzubauen. Er muss sich nicht mehr in Anleitungen oder Manuals einarbeiten. Das ist mit Sicherheit eine Perspektive, die in Zukunft weiter professionalisiert wird, ebenso wie Datenbrillen oder VR-Gadgets. In der Praxis spielt das noch keine große Rolle. Wir experimentieren bereits ganz erfolgreich mit IPads oder Tablet Computern.
Michael René Weber: Kommen wir nochmal auf das „digitale Kundentraining“, das Blended Learning Konzept im Kundentraining zurück – damit schaffen Sie einen „Mehrwert für alle Partner“, für den Teilnehmer selbst, für Zeiss und auch den Kunden. Der Mehrwert ist eine produktivere, schnellere und kürzere Lernzeit?
Jens Brajer: Ja, aber vor allem eine bessere Beziehung zum Produkt, zur angebotenen Lösung, zur Marke Carl Zeiss. Bei den Geräten geht es zum Beispiel darum, sich die volle Bandbreite eines solchen Systems schneller anzueignen. Die Form des Lernens kann man hier in mehrere Teile unterscheiden. Zum einen geht es darum, vor Vertragsabschluss dem Kunden die Potentiale von Carl Zeiss Geräten und Lösungen aufzuzeigen. Nach Vertragsabschluss fokussieren wir auf die Effizienz, zum Beispiel bei Lerneinheiten, die vor der Installation von Systemen zum Einsatz kommen. Wenn das Gerät dann vor Ort installiert und in Betrieb genommen wird, sind die Mitarbeiter der Kunden besser vorbereitet. Die Einweisungsprozesse sind effizienter, die Kunden zufriedener, sie kommen schneller mit den neuen Geräten zurecht. Die dritte Stufe ist dann die Supportfunktion im laufenden Betrieb der Geräte. Digitalisierung hilft in allen drei Stufen, vor Vertragsabschluss, vor und bei der Installation wie auch im Dauerbetrieb.
Michael René Weber: Eine letzte Frage sei erlaubt. Ist Teil der Digitalisierung nicht auch die Verlagerung von Tätigkeiten des Anbieters auf den Nutzer?
Jens Brajer: Ja, das ist zum Teil sicherlich so und es wird auf beiden Seiten eher positiv gesehen. Es ist ein partizipatives Element, wenn ich mich mit einem Thema auseinandersetzen und es in kurzer Zeit erfassen und lösen kann, bin ich zufrieden. Wir wollen ja gerne wissen, wann das bestellte Paket ankommt und wenn dies leicht und schnell geht, einen Anruf erspart, fördert es die Zufriedenheit. Es kommt also darauf an, den Self Service so zu gestalten, dass er tatsächlich einfach und nutzbar für den Kunden ist.
Michael René Weber: Herr Brajer, vielen Dank für das Interview, wir freuen uns auf Ihr Referat und die Möglichkeit, mit Ihnen auf der Spectaris Service Tagung am 23. März dann auch zu diskutieren und unterschiedliche Erfahrungen auszutauschen.
Das vorstehende Interview wurde im Vorwege der Spectaris Service-Tagung vom 23. März 2017 in Düren/ Köln geführt. Die Veranstaltung steht unter dem Motto „So geht Digitalisierung“ – Benchmarks und Lösungswege für mehr Ertrag und Kundenbindung.