Opinion: Der 6. Sinn – wenn Datenbrillen zu Geschäftsoptionen mutieren

Ein Bild sagt mehr als 1.000 Worte und der Ton oder ein Musikstück erinnern an den ersten Tanz. Ähnliches gilt für Geruchs- und Tastsinn und auch der Geschmackssinn holt Schönes zurück in die Gegenwart – „Bei wem schmeckt’s am besten?“ Und jeder sagt: „Bei Mama!“

Und der 6. Sinn?
Der Ausdruck „6. Sinn“ wird verwendet, wenn jemand etwas bemerkt, ohne es (bewusst) mit den bekannten Sinnesorganen wahrzunehmen (Wikipedia). Also: typisch „Service“, häufig ist es der 6. Sinn, der dem Service-Techniker sagt, was gemacht werden muss.

Beim Begriff „Service“ hatten Sie welches Bild im Kopf?

  1. … einen Service-Techniker, der in einen Raum kommt und wahrnimmt (ohne etwas zu riechen, sehen, hören, fühlen), hier muss sich was ändern, dann selbst Hand anlegt, die Situation ändert und löst? Ein erfahrener Macher also, der einfach anpackt und macht.
     
  2.  … einen Informatiker, der vor einer Bildschirmwand mit Datenreihen und blinkenden Symbolen auf verschiedenen Monitoren sitzt – einige Handbewegungen mit dem Trackball macht und sich per Knopfdruck mit einer Datenbrille in der Halle verbindet? In der Halle ist die Brille bei Knopfdruck aktiviert worden, der Träger nimmt Werkzeug und bereitliegendes Ersatzteil, geht zum übermittelten Platz an der Maschine und führt - augmented geführt – die erforderlichen Handgriffe aus.

Datenbrillen werden Realität: Mitarbeiter und Fachkräfte sind Mangelware bei Kunden und Lieferanten. Anlagen werden vernetzt, komplexe Systeme brauchen vielfältiges Know-How. Da ist es notwendig, den Kollegen vor Ort fachlich schnell mit unterschiedlichem Know-How unterstützen zu können – Smartphone und Datenbrille sind dann willkommene Datenübermittler und erleichtern schnelle Kommunikation und Lösungsfindung. Google Glaces und die HoloLens von Microsoft waren Anstifter – jetzt gibt es fast schon täglich neue Angebote: ganz praktische, ausgereifte Brillen und Übungsmuster (demnächst wird Sie die Stewardess beim Onboarding freudig mit Namen begrüßen und fragen, wie es dem kleinen Anton geht, den Sie heute Morgen in die Kita gebracht haben. Tests in Asien laufen).

Fall 1: der eigene Service nutzt die Datenbrille: Servicetechniker vor Ort werden durch Spezialisten aus dem Helpdesk unterstützt. Hier stehen unter anderem eine bessere First Time Fix Rate und Kostenreduzierungen im Vordergrund. Ergebnis der Analysen: noch zu teuer. Übrigens auch bei einem anderen Unternehmen, das sich schließlich für den weltweiten Einsatz von Smartphones entschieden hat, statt Datenbrille. Da ist das Gespräch mit dem Helpdesk auch möglich und wenn Internet fehlt, wird mit Video Aufzeichnungen angerufen.

Fall 2: der Kunde nutzt die Datenbrille: und kauft sie nach Anweisung des Maschinenherstellers beim Brillen-Lieferanten (oder bekommt sie gegen Einmalzahlung oder im Rahmen eines Servicevertrags kostenfrei gestellt).

Sowohl im Fall 1 (Service nutzt) wie auch im Fall 2 (Kunde nutzt) wird nicht nur im eigenen Haus, sondern auch beim Kunden ein Mehrwert geschaffen, ob mit Smartphone oder Datenbrille. Ausfallzeiten reduzieren sich und sofern der Kunde die Brille gestellt bekommt, kann er selbst professionell online unterstützt schneller agieren; was gleichzeitig ein Training für alle Anwender ist.

Datenbrillen eröffnen Geschäftsoptionen!
Der Einsatz der Datenbrille bietet den Einstieg in Folgeschritte in wissens- und datenbasierte Geschäftsmodelle, die einen Mehrwert für Kunden und Anbieter schaffen und so neue Erlösquellen. Selbst wenn wir erst am Anfang stehen, die Chance, mit Remote-Zugriff und Datenbrille jetzt aus dem Helpdesk die Kunden und Service-Techniker zu unterstützen sollten wir als „willkommene Übungsphase“ nutzen!

Die Datenbrille ist dabei sichtbares Element des neuen Zeitalters, ein erster Schritt und Ausdruck für „Zukunftswille und -fähigkeit“. Die neue Co-operative Denkweise und agile wie betriebswirtschaftliche Skills der Kollegen auf allen Seiten werden die Grundlagen für die Gestaltung neuer Kundenbeziehungen sein. Die „Technik“ – auch die Digitalisierung – sind kein Selbstzweck! Sie liefern die Plattform für digitale und datenbasierte Geschäftsmodelle, mit Mehrwert für alle Parteien.
Wie sieht Ihr Geschäftsmodell also aus?

Vieles orientiert sich heute noch an der Technik der Anlagen selbst. Der Mehrwert aus datenbasierten Leistungen beim Kunden wird mit der Unterstützung im Rahmen von Applikationen erheblich gesteigert. Hier können Verträge entstehen, die eine kontinuierliche Optimierung des Produktionsprozesses zum Ziel haben. Gehen wir es an!

Apropos 6. Sinn: Vielleicht hatten Sie beim Begriff „Service“ eine M2M-Lösung vor Augen, haben KI schon im Einsatz? Dann war Ihr Bild:

  1. … eine Maschine, die die erforderliche Baugruppe selbst ordert.
    Ein Hochregallager entnimmt und verpackt automatisch, liefert in den selbstfahrenden Kleinlaster. Angekommen entlädt ein Lagerroboter und übergibt dem Maschinenführer die Baugruppe zum Einbau (mit oder ohne Datenbrille und „Help Desk“-Support).

Später wird festgestellt, die ausgetauschte Baugruppe ist noch funktionsfähig, die Maschine hat sich geirrt – das gibt es auch bei KI! Kürzlich hat KI-Experte Prof. Peter Buxmann von der TU Darmstadt auf der TCI-Tagung am 17. September in Ludwigsburg erneut bestätigt: Die Entscheidungen einer KI lassen sich nicht nachvollziehen, entstehen aus den automatischen Lernprozessen und Fehler sind möglich – wenn auch sicher seltener, dachte ich mir. Und wir erkennen: KI übernimmt sogar den 6. Sinn – es wird auch zukünftig nicht alles erklärbar sein und logisch nachvollziehbar.

Michael René Weber
ISS International Business
School of Service Management

10.10.2018/ E-Mail: weber@iss-hamburg.de

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