"Smart Services" für die Industrie

Ein Interview mit Stephan Boch, verantwortlich für Data Driven Services der Atlas Copco IAS und Referent der ISS und SPECTARIS Tagungsreihe „Intelligenter Service als Umsatz- und Ergebnisgenerator“ am 27. und 28. März 2019 im Unternehmen Bizerba, Balingen mit dem Thema: Servitization
Hier der Link zur SPECTARIS Service Tagung (PDF)
 

(MRW): Herr Boch, Sie bieten Ihren Kunden Data Driven Services an – was bedeutet dies und was bieten Sie Ihren Kunden damit?

(SB): Data Driven Services sind immer auf Optimierung ausgerichtet. Wir benutzen die Daten zur Optimierung diverser Prozesse, also entweder des Verfügbarkeitsmanagements, des Wartungsmanagements oder eben des Material- oder Effizienzmanagements. Damit sprechen wir auch unterschiedliche Kundeninteressen an. Der eine Kunde ist rein auf Wartung fokussiert, der Instandhaltungsleiter. Der andere ist vllt. mehr interessiert seine gesamten Kosten in der Produktionslinie zu senken oder zu optimieren.

(MRW): Für solche Smart Services braucht es Informationen aus den Anlagen zum Beispiel über Temperatur oder andere Messgrößen verschiedenster Sensoren.

(SB): Stimmt, diese Daten erhalten wir aus unseren Anlagen. Die Anlagen schreiben das mit, aber die Kunden tun sich natürlich manchmal schwer das zu interpretieren. Z.B. wenn der Druck in der Anlage hochgegangen ist, vllt. ist irgendwo etwas zugewachsen oder die Temperatur hat sich verändert? Da gibt es verschiedenste Gründe.

(MRW): Ok, das gibt eine ungefähre Vorstellung was Daten tatsächlich an Nutzwert schaffen. Wie kann man das bepreisen, wie verkauft man solchen Nutzwert?

(SB): Wir haben das verschieden gestuft. Es fängt damit an, dass wir einfach Daten bereitstellen. Viele Kunden wollen selbst auswerten, haben große eigene IOT-Lösungen, in denen sie die Daten weiterverarbeiten. Dazu gibt’s dann sogenannte Datenschnittstellen. Wir unterscheiden da zwischen Rohdaten, was liefert die Anlage einfach nur so als rohe Information und Smartdaten. Smartdaten sind von uns vorbearbeitet mit entsprechenden Algorithmen. Nutzt der Kunde, die so von Atlas Copco aufbereiteten Daten, zahlt er eine Transcription Fee, je nach Menge bzw. Anzahl der Anlagen. In der nächsten Stufe haben wir dann Software Lösungen, die die Daten visualisieren und die die Daten in Aktivitäten oder Prozesse umsetzen. Eine Alarmmeldung in dem Wartungsmanager kann z.B. eine nächste Ausbaustufe sein, dafür zahlt der Kunde dann eine Transcription Fee pro Jahr. In der dritten Ausbau- /Vertragsstufe bietet Atlas Copco an, die Daten selbst, in regelmäßigen Abständen mit zu monitoren und dann Handlungsempfehlungen zu geben.

(MRW): Und da kommt dann das Know-How von Atlas Copco erst richtig zum Tragen?

(SB): Genau, aber der Kunde hat die Wahl das zu entscheiden. Wir haben festgestellt, dass es Sinn macht, zu fragen: „Wie können wir Sie unterstützen?“ Dann haben die Kunden die Wahl. Sie können Stufe 1 oder 2 nehmen.

(MRW): Damit sind Sie auf alle Kundenwünsche vorbereitet, vom Self Maintainer bis zum Optimizer.

(SB): Es gibt alle Ausprägungen. Wir haben auch schon erlebt, dass jetzt gesagt wurde, man baut seine eigene Klebeabteilung ab. Das sind dann Unternehmensentscheidungen. Dann verlassen sie sich wieder mehr auf den Lieferanten. Mit unserer Lösung können wir alles abdecken.

(MRW): Es ist ein flexibler Ansatz.

Wenn man sich diese drei Stufen anschaut, die angeboten werden können, dann gibt es für alle drei Stufen einen Transcription Preis, ein Abo pro Jahr oder pro Monat?

(SB): Wir machen das eigentlich immer pro Jahr. Der Kunde unterschreibt für ein Jahr.

(MRW): Und technisch – wo ist die Software installiert bei Atlas Copco als SaaS-Lösung oder beim Kunden?

(SB): Die Software ist beim Kunden installiert und je nachdem, ob er sich mit unserer Cloud verbindet oder nicht, gibt es da eine Connection nach außen. Wenn er die Daten nicht herausgibt, dann müssen wir halt vor Ort kommen und da die Daten anschauen und analysieren. Das ist teurer, als eine Beurteilung der Daten in der Cloud.

(MRW): Das bedeutet dann, Atlas Copco muss die Daten nur dann ansehen und analysieren, wenn der Kunde quasi auf den Knopf drückt und sagt „Ich möchte, dass ihr kommt“ – ist das richtig verstanden?

(SB): Ja genau oder wenn er einen Vertrag hat, mit Optimierungsauftrag, dann schauen wir in regelmäßigen Abständen seitens Atlas Copco nach den Maschinen.
Früher war es so, dass wir mit dem Stick zu jeder Anlage hinlaufen mussten, haben dann die Daten aufgenommen. Jetzt haben wir das konsolidiert an einer Stelle.

(MRW): Wie lange haben Sie dafür gebraucht?

(SB): Es ging eigentlich relativ schnell. Für den Datensammler haben wir ungefähr ein Jahr gebraucht und dann haben wir eine Standardsoftware genommen, die es im Markt schon gibt. Dadurch waren wir natürlich deutlich schneller.

(MRW): Das Vertragsangebot an Kunden ist ja gestaffelt, von der eigene Auswertung der Daten durch den Kunden, bis zum kompletten Service mit Optimierungsempfehlungen durch Atlas Copco.

(SB): Ja, die Software selbst zeigt schon bestimmte Dinge an. Der Kunde kann sich Diagramme ansehen und selbst auswerten. Wenn wir die Daten dann bei uns analysieren, machen wir weitere Analysen. Wir vergleichen dann auch mit anderen gleichartigen Anlagen. Das geht mit den normalen Dashboards nicht, da kann man nur sehen wie der Verlauf bei der Anlage war.

(MRW): Also, Atlas Copco vergleicht praktisch sowohl die Anlagen beim Kunden miteinander, das könnte er vllt. noch selbst machen, und stellt auch einen Vergleich zu anderen Anlagen her, das kann der Kunde nicht.

(SB): Ja, das geht allerdings noch nicht. Das werden wir machen, wenn wir Daten von vielen verschiedenen Kunden in der Cloud haben. Dann kann ich untereinander vergleichen. Das dauert noch, bis wir ausreichend Daten von Kunden in der Cloud haben. Dann können wir parallel Analysen und Auswertungen machen.

(MRW): Wo liegt dann der direkte Nutzen für den Kunden?

(SB): Wir nennen das Wartungsoptimierung oder Wartungsberatung. Die Wartung an den komplexen Anlagen von Atals Copco ist nicht ganz einfach und zum Teil zeitintensiv. Die Kunden arbeiten heute zeitbasiert mit Exceltabellen. Wir wollen das erleichtern indem wir ein Tool geben, das die Anlagennutzung mit einbezieht, also wirklich nutzungsbasierte Wartungsempfehlungen gibt. Und damit spart er viel Planungszeit oder Leerarbeit, weil er zurzeit vllt. Dinge macht, die er gar nicht hätte machen müssen.

(MRW): Das ist dann condition monitoring.

(SB): Ja, das geht schon in die Richtung. Wir schauen wie die Anlage genutzt wird. Den tatsächlichen Verschleiß können wir nicht erkennen, das basiert jetzt im Moment auf Erfahrungswerten, später, dann können wir auch predictive Szenarien entwickeln, wenn wir genug Daten haben.

(MRW): Wann sind Sie soweit, predictive Lösungen anzubieten?

(SB): Man braucht halt einen gewissen Zeitraum und eine gewisse Menge an Anlagen. Bei einem Kunden, der 150 Anlagen hat, haben wir Daten über 5 Jahre analysiert. Da kann man dann natürlich etwas ableiten. Aber es ist einfach eine gewisse Menge nötig. Ich kann nicht bei drei Anlagen, bei denen nach 5 Jahren mal eine Spitze gebrochen ist, etwas ableiten.

(MRW): Bei bei der Software und der Datenanalyse arbeitet Atlas Copco mit einem Experten. Warum seid ihr eigentlich nicht die Datenexperten für eure Geräte?

(SB): Nein, für Big Data nicht. Wir können natürlich an einzelnen Anlagen sehen, ob da irgendeiner was verdreht hat. Allerdings nicht aus dem Verhalten über lange Zeit hin oder in großen Datenmengen, das können wir nicht analysieren. Da brauchen wir „Data Scientist“ und die haben wir nicht.

(MRW): Das heißt, da gibt es Spezialisten, die aus verschiedenen Datenströmen, die Erkenntnisse rausziehen?

(SB): Ja, das macht ein externer Dienstleister für uns.

(MRW): Wie ist das Thema mit der Daten Hoheit?

(SB): Das Thema versuchen wir zu vermeiden. Wir sagen einfach, die Daten liegen beim Kunden, auch die gesammelten. Wir stellen ihm die Entscheidung frei. Wenn der Kunde predictive will oder wenn wir regelmäßig reinschauen sollen, dann muss er die Daten freigeben und das macht er dann selbst. Er hakt es beim Service Portal an und ihm ist dann bewusst, dass genau diese Daten zu Atlas Copco gehen.

(MRW): D.h. die Anlage ist verkauft und nicht vermietet, folglich gehört die Anlage dem Kunden, folglich gehören auch die Daten dem Kunden.

(SB): Ja, genau das ist so.

(MRW): Gibt es da unterschiedliche Kunden?

(SB): Es gibt welche, die im Moment noch sehr reflektiv sind. Wobei es liegt nicht an den Fachabteilungen, sondern es liegt meistens an der IT, die ihre eigenen Vorschriften oder Konzepte hat. Die gilt es dann zu berücksichtigen. Wir haben aber auch Kunden, die recht offen sind. Ich glaube das ist momentan auch im Wandel.

(MRW): Der Nutzen für den Kunden ist da wohl ausschlaggebend?

(SB): Das kleinste sich öffnen, ist die Remotelösung und wenn man da die Tür offen hat, dann kann man das gemeinsam weiter ausbauen. Das Remote-Ticket ist schon soweit das die meisten da heute mitmachen.

(MRW): Und in der Zukunft?

(SB): Es ist bald alles möglich. Man könnte im Extremfall mit einem Betreibermodell kommen.

(MRW): Was ist da dann das Besondere?

(SB): Zu beachten ist, dass es mit dem Daten sammeln nicht getan ist. Aus unserer Sicht fängt der Value dort an, wo die Daten in wirkliche Aktivitäten umgesetzt werden können, z.B. bis zu einer Supporting-Aktion oder einer eher derzeit langfristig angelegten Optimierung. Aber wenn diese Verbindung nicht da ist, wie sie in den meisten Fällen nicht gegeben ist, dann komme ich nur bis zu einem gewissen Wert. Das kann im kleinsten Fall nur eine Message an einen Kunden sein „Pass mal auf, da ist etwas, du musst etwas machen“ oder es ist tatsächlich die Anzeige „mach die Wartung“ und auch die Verbindung „ok ich habe ein Problem, ich brauche schnell Hilfe“ drück den Knopf. Uns ist wichtig, dass direkt etwas da ist, eine Aktivität folgt.

(MRW): Spannend mit Ihnen reden zu dürfen – machine learning haben Sie ebenso wie KI sicher auch schon angedacht…

(SB): Ja – dass braucht noch Zeit und viele verfügbare Daten. Im Konsumentenbereich ist das schneller machbar.

Das Interview hat Michael René Weber (MRW), von der ISS Business School geführt.