Gastinterview - Weg vom Produkt, hin zur Lösung

Michael Braun: Herr Keller, wie sind Sie zu Bizerba gekommen?
Robert Keller: Im Prinzip bin ich schon seit 1981 für Bizerba tätig. Nach meiner Elektroniker-Ausbildung war ich als Service-Techniker europaweit unterwegs. Ich habe dann Wirtschaftsingenieurwissenschaften studiert, bin parallel aber immer für Bizerba tätig gewesen, an einem Standort in Uninähe, aber auch in verschiedenen Service-Projekten. 1995 folgte dann der Schritt zur Leitung des globalen Service.

Michael Braun: Hilft Ihnen Ihre praxisnahe Ausbildung im täglichen Geschäft?
Robert Keller: Sehr sogar. Ich konnte frühzeitig viele Erfahrungen im internationalen Bereich sammeln, und gerade das technische Verständnis hilft mir bis heute in vielen Situationen. Es ist einfach wichtig, auch die technischen Hintergründe jener Produkte und Anlagen zu kennen, für die die eigene Serviceorganisation entsprechende Services anbietet.

Michael Braun: Wie ist denn der Service bei Bizerba organisiert?
Robert Keller: Aktuell beschäftigen wir 1.300 Mitarbeiter im Service weltweit. Wir arbeiten sowohl mit Tochtergesellschaften als auch mit Vertretungen, also entsprechenden Partnern. Welche Lösung in Frage kommt, hängt natürlich von der Marktgröße ab. Länder wie China oder die USA sind aufgrund der Marktdurchdringung von Bizerba prädestiniert für eigene Gesellschaften. Wenn wir zusätzlich zu den bisher 80 Ländern neue Märkte erschließen, dann in der Regel natürlich zuerst über Partner.

Michael Braun: Wie arbeiten die Techniker im Feld?
Robert Keller: Schon seit 15 Jahren setzen wir auf volldigitale Servicelösungen - die wir eigenständig weiterentwickeln. 2018 werden wir von Windows auf iOS umsteigen, mit einer kompletten Lösung für alle Service-Techniker.

Michael Braun: Was verstehen Sie in diesem Zusammenhang unter komplett?
Robert Keller: Jeder Service-Techniker ist mit einem Gerät ausgestattet, und darüber werden die Aufträge vollständig digital abgewickelt, angefangen von der Beauftragung über sämtliche logistischen Leistungen und Ersatzteilplanungen bis zum Auftragsabschluss, wenn der Kunde digital unterschreibt und damit die Abrechnung in Gang setzt.

Michael Braun: Können Sie ein paar Details zur Ersatzteilversorgung nennen?
Robert Keller: Wir haben 20.000 Ersatzteile permanent am Lager. Von dort aus werden unsere Techniker über Nacht beliefert. Welches Teil er benötigt, erkennt das System vereinfacht gesagt automatisch durch die digitalen Berichte, die der Service-Techniker übermittelt. Es gibt ein gewisses Standardrepertoire an Teilen, über das er verfügen muss, und diese Teile werden über Nacht immer auf den benötigten Stand gebracht. Diese Logistik funktioniert übrigens nicht nur für Deutschland, sondern europaweit. Und wir planen, ähnlich schnell auch in Übersee zu sein: Aktuell haben wir ein Projekt mit einem Logistikdienstleister initiiert, der uns zusagt, jedes Ersatzteil in zwei Tagen zu jedem Techniker in den USA liefern zu können – von unserem zentralen Standort in Deutschland aus, wohlgemerkt. Ein spannender Ansatz, den wir gerne mitgehen.

Michael Braun: Der nächste Schritt wäre dann ja, über den 3D-Druck von Ersazteilen nachzudenken...
Robert Keller: ... und das tun wir auch schon. Es gibt Ansätze, komplexe, selten benötigte Ersatzteile mittels 3D-Druck herzustellen. Das würde mitunter längere Wartezeiten in der traditionellen Herstellung oder Beschaffung eleminieren. Je nach Beanspruchung kommt da möglicherweise nicht jedes Bauteil in Frage, aber die Technik steckt ja auch weiterhin in der Entwicklung.

Michael Braun: Wie gehen Sie mit den Rückläufen von beschädigten oder defekten Bauteilen um?
Robert Keller: Wir setzen klar auf eine Wiederverwertung von Bauteilen. Das ist eine Frage des jeweiligen Zustandes, aber gerade auf Platinen und ähnlichen Bauteilen, die für den elektronischen Betrieb der Bizerba-Geräte benötigt werden, haben wir einen besonderen Blick. Alle defekten Bauteile werden im Feld zunächst einmal nicht entsorgt, sondern finden den Weg zurück in unsere Zentrale in Balingen. Dazu deponiert der Service-Techniker das defekte Bauteil einfach in seinem Service-Fahrzeug. Erfolgt nachts die Bestückung seines Bestandes, kann der beliefernde Kurier auch gleich die defekten Bauteile wieder einsammeln. Dafür stellen wir stabile Transportboxen zur Verfügung, in die der Techniker die defekten Bauteile einfach hineinlegt und im Fahrzeug deponiert. Der Kurier weiß dann, dass er die Box mitnehmen muss.

Michael Braun: Was passiert dann mit den Bauteilen?
Robert Keller: Zunächst einmal werden alle Teile inventarisiert, sortiert und gelagert. Kommt dann eine Reparaturanfrage aus dem Feld, können wir tätig werden: Ist das Bauteil als früherer Rückläufer bei uns vorrätig, wird es in einer Fachabteilung repariert und überholt. Das dann wieder funktionstüchtige Bauteil wird dem Techniker schließlich zum Einbau zugestellt. Der Kunde erwirbt das runderneuerte Ersatzteil natürlich mit einem preislichen Abschlag gegenüber einem Neuteil. Ein wichtiger Vorteil dieser Vorgehensweise ist, dass wir so sehr flexibel sind und enorm schnell über diese Ersatzteile verfügen können. Im anderen all müssten wir das Bauteil über die Produktion ordern - und das kann natürlich je nach Teil und Produktionsprozess in der Fertigung dauern.

Michael Braun: Am Standort Balingen befindet sich der Service in einem Gebäude mit dem Lager, der Werkstatt und dem Weiterbildungszentrum. Haben die kurzen Wege auch hausintern Vorteile?
Robert Keller: Definitiv, ja. Alles baut aufeinander auf, es ist sozusagen das Haus der kurzen Wege. Und man darf ja nicht vergessen, dass wir mit der Verantwortung für den globalen Service zwar in Deutschland sitzen, aber tatsächlich für den Bizerba-Service weltweit zuständig sind. 180 Mitarbeiter arbeiten mit Blick auf das internationale Geschäft hier in Balingen, wo wir vor allem den Second Level Support für unsere nationalen Einheiten durchführen. Dazu kommt der zentrale Schulungsbereich, denn wir haben immerhin 220 Produkte im Verkauf, und über 1.000 Produkte im Bestand bei unseren Kunden. Umgekehrt heißt das natürlich, dass es auch eine eigene Service-Organisation für Deutschland gibt. Auch hier sind kurze Wege natürlich
sinnvoll.

Michael Braun: Wie erfolgt denn dann der Austausch auf internationaler Ebene?
Robert Keller: Einmal im Jahr wird ein großes Event organisiert, bei dem Vertreter aus 80 Ländern zusammenkommen. Dort findet Austausch statt, es gibt Präsenationen, wir lernen aus dem Feld, umgekehrt geben wir neue Ideen in die Länder. Ich selbst bin dann auch sonst wöchentlich unterwegs, zwei Tage die Woche mindestens. Dann geht es darum, neue Ländergesellschaften aufzubauen, Partner zu finden und Überzeugungsarbeit bei neuen Konzepten zu leisten.

Michael Braun: Über welche neuen Konzepte können Sie sprechen?
Robert Keller: Wir sind dabei, die Perspektive auf unser Angebot zu verändern. Früher haben wir Produkte verkauft, dazu wurden Serviceleistungen angeboten. Heute sehen wir das anders: Wir bieten dem Kunden integrierte Lösungen für sein Business an. Wenn er vor einer Herausforderung steht, sind wir mit einer passenden Gesamtlösung zur Stelle, zu der neben der klassischen Maschine auch Serviceleistungen, Finanzdienstleistungen und Beratung gehören. Wir nennen diesen neuen Ansatz „My Bizerba“. Pay per use ist hier das Stichwort, das uns gerade umtreibt. Wir haben aktuell 16 Lösungen dieser Art entwickelt und komplett ausgearbeitet, mit Marketingpackage und umfassender Dokumentation. Jetzt stehen wir vor der Herausforderung, den Vertrieb entsprechend zu schulen. Er verkauft keine Maschine mehr, sondern Lösungen. Diese Sichtweise muss zum Allgemeingut werden. Deswegen begleiten wir diesen Wandel intensiv, zum Beispiel auch im Intranet, wo jeder neue Lösungsabschluss vorgestellt wird.

Michael Braun: Wie sehen Sie da Ihre eigene Rolle?
Robert Keller: Wissen Sie, Bizerba hat mein Leben natürlich geprägt. Ich bin immer nach dem Motto verfahren ‚Was man erreichen möchte, das erreicht man auch‘. Dazu gehört für mich, Begeisterung für Dienstleistungen zu vermitteln und immer im Blick zu haben, dass Service People Business ist. Dafür stehe ich – bis heute und in Zukunft.

Dieser Artikel erschien erstmals in der SERVICETODAY 4/2017. Sie können den Originalartikel hier als PDF-Dokument herunterladen.